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ECKSTEIN, D.*, ERDMANN, J.**, HUMMEL, B.***, KAESTNER-SCHINDLER, I.****, MÜLLER-SAALA, H.***** und SCHMIDT, A.******

Gutachten aus Sicht der Informatik zu den §§371 BEWEIS DURCH AUGENSCHEIN und 371a BEWEISKRAFT ELEKTRONISCHER DOKUMENTE der ZPO

* Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, eigene Niederlassung, seit 1977 Leiter verschiedener Arbeitsgruppen in der Medizininformatik,

** Charité Facility Management GmbH, Berlin

*** Dipl.-Ing., Staude GmbH, Dresden

**** Dipl.-Dokum., (im Ruhestand), Annaberg-Buchholz

***** Dipl.-Ing., Infothek Imaging analoge/digitale Speichermedien, Sachverständiger, Eching

****** Rechtsanwalt, Zwickau

Gliederung :
1. Zum Anliegen für vorliegendes Gutachten
2. Bemerkungen zur qualifizierten elektronischen Signatur
2.1. Das Fehlen einer sicheren Fixierung der elektronischen Information bei der Speicherung auf Dauer
2.2. Die Notwendigkeit der Erstellung von Kopien bei der Speicherung von elektronischen Informationen
2.3. Die Möglichkeiten zur Entschlüsselung der qualifizierten elektronischen Signatur
2.4. Zur Trennung der elektronischen Information
2.5. Nichtdelegierbarkeit der qualifizierten elektronischen Signatur
3. Konsequenzen für die §§371 und 371a ZPO

1. Zum Anliegen für vorliegendes Gutachten
Die Formulierungen des §371a lassen Ungereimtheiten erkennen, die sich offenbar aus vermindertem Sachverstand zu informationstheoretischen und -praktischen Fragen ergeben. Dies wird auch bei der Durchsicht von inzwischen vorliegenden Kommentaren zu §371a deutlich (vergleiche 1): "Qualifiziertes Zertifikat ist: Eine elektronische Bescheinigung. Mit deutscher Überperfektion wieder ein- mal ein Wust an Begriffen, durch die es sich zu quälen gilt, bevor man zum Anscheinsbeweis kommen könnte, den ernstliche Zweifel doch sogleich wieder entkräften könnten." Das vorliegende Gutachten will diese Lücke füllen und macht gleich- zeitig Vorschläge für eine Qualifizierung der §§371 und 371a.

2. Bemerkungen zur qualifizieren elektronischen Signatur
Juristen ist zu raten, sich mit dem Signaturgesetz und den Kommentaren aus juristischer und notarieller Feder zu beschäftigen. Alles darüber hinaus, auch Verordnungen und Vergleichbares, trägt eindeutig die Handschrift von (kommerziellen) Firmen der Informationstechnologie. Es hat den mutmaßlichen Anschein, elektro- nische Technik so viel wie möglich einzusetzen und nicht so viel wie nötig. Die Sichtweise aus informationstheoretischer Sicht kann aus folgendem Gutachten entnommen werden. Die Autoren haben teilweise ausgesprochen aktiv für eine juristische Aufwertung der elek- tronischen Medien gearbeitet, so ist vorliegendes Gutachten ein weiterer Beleg dafür. In der qualifizierten elektronischen Signatur (im Folgenden als qes bezeichnet)hat der Gesetzgeber einen sicheren Weg gefunden, den Nach- holebedarf für die elektronische Information juristisch zu verankern. Jedoch gibt es auch Grenzen für die qes und die elektronischen Speichermedien überhaupt. Mit der Zeit werden, wie so häufig bei einer Innovation, die Grenzen ausgetestet. Bei dieser Suche nach dem Platz für die qes will vorliegendes Gutachten behilflich sein.

2.1. Das Fehlen einer sicheren Fixierung der elektronischen Information bei der Speicherung auf Dauer
Die rasante Erhöhung bei der Entwicklung der Speicherkapazität in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass sich der binäre Code schlecht isolieren läßt. Vereinfacht gesagt, ist es nicht sicher, ob eine 0 oder eine 1 auf Dauer auch eine 0 oder eine 1 bleibt. Auch bei der qes ist die Verschlüsselung (Kryptographie) nicht auf die Zeit sicher (sog. Alterungsprozess), so dass die qes seine Beweiskraft verliert (2). Der Versuch nun, diese Fehler zu korrigieren, letztendlich als "heilen" oder "Erneuerung" bezeichnet, ist natürlich im juristischen Sinne eine Manipulation am elektronischen Dokument, was sich schwer mit dem Begriff "Urkunde" gemäß §371a verträgt. Es kann deshalb die qes gemäß §371 und §371a ausschließlich die primäre, originale elek- tronische Information gemeint sein, z.B. beim Versenden einer e-mail.

2.2. Die Notwendigkeit der Erstellung von Kopien bei der Speicherung elektronischer Informationen
Diese Notwendigkeit ergibt sich vordergründig zum einen aus praktischen Zwängen und aus der Notwendigkeit, dass elektronische Speicher nach 5 - 8 Jahren erneuert werden müssen. Es ist nun schon nahezu Allgemeinwissen: Bei Kopien entstehen Datenverluste (3), die eben auch, wie wir oben gesehen haben, da die qes mit der elektronischen Information selbst verbunden ist, bei Kopien eine Beschädigung oder gar Verlust der qes eintreten kann. Besonders kritisch ist die Situation bei "weiteren Kopien von einer Kopie", da sich der Datenverlust zumindest summiert. Auch entstehen bei der elektronischen Kopie Übertragungsfehler, eine Software ist jedoch imstande, Original und Kopie zu vergleichen und mit einer weiteren Software zu "korrigieren". Keine Firma gibt die Garantie, dass eine 100%ige 1:1-Übertragung dann hergestellt wurde. Jeder, der an einem Computer arbeitet, weiß wie störanfällig Software sein kann. Auch ist Software ein Verfahren im physikalischen Sinn und jedes Verfahren hat eben seinen eigenen Fehlerbereich. Juristisch gesehen erscheint es generell kaum vertretbar, Kopien überhaupt mit einer Urkunde zu vergleichen. (Eine "Abschrift eines Notars" hat aus unserer Sicht zum Sachverhalt unseres Gutachtens keinen direkten Bezug.) Ein Beispiel zu Fragen Kopien ist bei einer patientenbezogenen Information mit 30jähriger Aufbewahrungsfrist bei (4) nachzulesen: Es können 7 (!) Kopien entstehen und auch die siebente kann durchaus eine Rolle im Prozess spielen. Dann wird mit an Sicherheit grenzen- der Wahrscheinlichkeit sogar Beweislastumkehr nötig sein.

2.3. Möglichkeiten zur Entschlüsselung der qualifizierten elektronischen Signatur
Die Entschlüsselung der qes ist durch verschiedene Methoden weitgehend unbemerkt relativ problemlos möglich. Beispielsweise ist die Signatur auf einem sogenannten Heilberufeausweis innerhalb von 48 Stunden entschlüsselt worden. Auch die PIN ist, teilweise online, also weit weg vom Nutzer durch sog. Spionageprogramme möglich. Also ist Schreiben mit "fremder Hand", Manipulationen von elektronischen Informationen relativ einfach möglich. Theoretisch ist es machbar, dass jeder mit speziellen Grundkenntnissen seine eigene Urkunde schreiben kann. Aus dem oben Gesagten verwundert schon, dass die Erschütterung des Anscheins der Echtheit der elektronischen Information gemäß §371a, 1(2) nur durch den Zweifel an der Erklärung des Signaturschlüssel- inhabers geschehen kann.

2.4. Zur Trennung der elektronischen Information
Bei komplizierten elektronischen Informationen, wie z.B. bei Bildern mit ständig wechselnden Grauwertstufen, ist bei Versenden der Infor- mation ein Zerteilen nötig, weil die sog. Bandbreite der Kabel nicht ausreichend groß ist. Später erfolgt dann ein Wiederzusammensetzen der Information. Dies scheint in toto schon nicht mit dem Urkundenbegriff übereinzustimmen (5). Auch ist deshalb strikt die Signatur jedes einzelnen elektronischen Dokuments für sich nötig: Mehrfachsignaturen (stapelweise, automatisch und vergleichbares) ist deshalb strikt abzulehnen.

2.5. Nichtdelegierbarkeit der qualifizierten elektronischen Signatur
Aus Erfahrungen von Vereinfachungen mit Unterschriftsstempeln u.ä. ist weiterhin bei Strafe zu fordern, dass der Urheber (Verfasser) des elektronischen Dokuments mit seiner qes zeichnet. Die heutige Praxis der Notare zeigt das ausgesprochen deutlich.

3. Konsequenzen für die §§371 und 371a
Der Gesetzgeber zeigte ein besonderes Fingerspitzengefühl, die recht- liche Aufwertung des elektronischen Dokuments bei Titel 6. Beweis durch Augenschein in die ZPO zu platzieren. So ist auch zuzustimmen, dass ein elektronisches Dokument mit qes in die Nähe einer Urkunde reicht. Jedoch existiert ein Urkundenbegriff des BGB für elektroni- sche Urkunden nicht (6,7).

Warum jedoch Plural des Begriffs "Dokument" in §371a? Sowohl im §371, 1 (2) als auch in weiteren Paragraphen der ZPO wird der Begriff "elektronisches Dokument" verwendet. Davon abweichend spricht lediglich der §371a durchgängig in der Mehrzahl von "elektronischen Dokumenten". Ein Sinn ist - auch juristisch gesehen - nicht nachvoll- ziehbar. Folgerichtig wird auch für den §371a der Begriff "elektronisches Dokument" für nötig erachtet.

Aus den Kapiteln 2. bis 2.5. vorliegenden Gutachtens ergibt sich aber auch: Der gesamte Lebenszyklus des dem Gericht eingereichten Dokuments ist rückwirkend bis zum Original (vergleiche 8) zu hinterfragen. Bei Nichtvorliegen der Originalität (Urschrift) ist somit kein Bezug zur Urkunde gegeben, zumal bei §371, 1 (2) wahrscheinlich mit dem Begriff "Datei" das Original gemeint ist. Dazu liegt - sozusagen beispielgebend - eine Untersuchung im Rahmen des Scannens vor (9). Es sollte also folgerichtig §371a, 1 (1) richtig heißen: "Auf einem originalen privaten elektronischen Dokument, ..."

Entsprechend (1) und den Punkten 2. bis 2.5. vorliegenden Gutachtens sollte auch eindeutig die Tatsache der Erschütterung des Echtheits- anscheins nicht ausschließlich durch den Signaturschlüsselinhaber ge- geben sein, sondern eben auch durch weitere Einschränkungen. So sollte in §371a, 1 (2) der Begriff "nur" gestrichen werden und zuzusetzen wäre: "...sowie durch weitere Tatsachen, die Zweifel an der Gleichsetzung mit den Vorschriften über Beweiskraft privater Urkunden ergeben."



Literatur

1. §§371 und 371a, Hartmann, S. 1473 - 1474 (Kommentar)
2. Vgl. SCHMÜCKER, P. et al.: "Leitfaden für das rechnerunterstützte Dokumentenmanagement und die digitale Archivierung von Patientenunterlagen im Gesundheitswesen". 2. Ausgabe, GIT Verlag, Darmstadt, S. 28 ff, (2008)
3. KORNWACHS, K.: "Wissen für die Zukunft II" PT 03/1999, Universität Cottbus
4. Protokoll der 29. Tagung der UAG in Braunschweig 2006, S. 2 ff. www.praxis-eckstein.de
5. Vgl. PÜLS, J.: NotBZ 4/2007, S. 146 ff
6. PÜLS, J.: "Notarielle Tätigkeit im Lichte des Justizkommunikationsgesetzes." NotBZ 9/2005, S. 306
7. §371a HK-ZPO/Eichele, S. 886
8. Vgl. ECKSTEIN, D. et al: "Original, Kopie und Sichtbarmachen bei analogen und digitalen Medien - Definitionen." www.praxis-eckstein.de
9. ROSSNAGEL, A. et al: "Scannen von Papierdokumenten. Anforderungen, Trends und Empfehlungen. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2008, S. 90 ff