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Eckstein, D.: "Die Schulglocke von Mühlgrün - ein Denk (-) mal." Vogtlandjahrbuch 1999, Neuputverlag Plauen 1998, s. 120

Bei Aufräumungsarbeiten im damaligen Kombinierten Feierabend- und Pflegeheim Auerbach wurde Mitte der 80er Jahre in einem Ortsteil der Stadt im Pflegeheim Mühlgrün eine Bronzeglocke gefunden. Da das Heim bis Ende des 2. Weltkriegs als Schule diente, war anzunehmen, dass es sich bei dem Fund um die ehemalige Schulglocke handelte. Zu dieser Zeit war ich als Heimarzt in Auerbach angestellt und auch für Mühlgrün zuständig.
Zum Zeitpunkt des glücklichen Fundes hatte ich mich gerade vergeblich bei den Vorgesetzten für eine rasche Bepflanzung der Umgebung der 3 Heime eingesetzt, die damals zum Kombinierten Feierabend- und Pflegeheim gehörten. Insbesondere das wenige Jahre vorher erbaute Heim in der heutigen Eisenbahnstrasse bot ein trostloses Bild: Beton und nochmals Beton sowie Wiese, sonst kahl. Es waren viele Bewohner aus ehemals ländlichen Gebieten hier, und so hatte ich u. a. eine Bepflanzung mit Fichten, darunter zumindest eine größere, gefordert.
Mein Ansinnen war in dieser Form abgelehnt worden, als die Glocke etwa zeitgleich gefunden wurde.
Nun, das war doch eine Art Ersatz für die nicht genehmigte Fichte, etwas Altes, Ehrwürdiges, gegossen 1901 von Hofglockengießermeister Andreas Zachariä, wie die Inschrift verriet.
Mit dem damaligen amtierenden Heimleiter wurde beschlossen:
Die Glocke stellen wir auf! Kaum war der Entschluß gefasst, kam mir eines der für diese Zeit typischen Gerüchte unter die Ohren, "weit Oben" sei beschlossen worden, dass wir die Glocke zurückgeben sollten. Nun war Eile geboten. Wir sagten uns, schon etwas im Trotz, wir werden die Glocke trotzdem aufstellen, und zwar bei uns. Die Leitung entschied als Standort den Neubau in Auerbach, das Pflegeheim Mühlgrün schien nicht sicher genug zu sein. Sehr wichtig war es auch, das Vorhaben irgendwie zu schützen. Das gelang uns mit der Gründung einer Interessengemeinschaft "Glocke", bestehend aus Heimbewohnern und Mitarbeitern des Heims, die sich zur Aufgabe gestellt hatte, etwas zur Geschichte der Glocke in Erfahrung zu bringen.
Noch wichtiger erwies sich jedoch die zügig vollzogene Aufstellung selbst. Das geschah in Form einer wirklich würdevollen Feier, wobei auch der Europagedanke, verbunden mit einem Dank an das finnische Volk, erwähnt wurde.
Denn: Die Aufstellung der Glocke geschah am 31.7.1985, genau 10 Jahre zuvor hatte die KSZE - Konferenz in Helsinki stattgefunden. Auf der Feier, das muß noch gesagt werden, hat Frau Käthe Stellmacher aus Klingelthal das gesamte Gedicht von Friedrich Schiller "Lied von der Glocke" vorgetragen. Wenige Tage später hieß es "von oben", die Glocke muß wieder weg! Als wir aber von der Interessengemeinschaft und vor allem von der Aufstellung zu Ehren des 10. Jahrestages der Unterzeichnung der KSZE - Schlußakte erzählten, durfte sie bleiben.
Nur der Name der Interessengemeinschaft mußte weg, "Glocke" ginge nicht, er paßte den Machthabern im Kreis nicht.
Ja, es war die große Zeit Gorbatschows, sicherlich haben die örtlichen Diktatoren von ganz weit schon gehört, dass das Ende ihrer Macht eingeläutet wurde.
Trotzdem brachten die Nachforschungen der Interessengemeinschaft interessante Dinge zutage:
Während der Einschmelzaktion der Nazis ist die Glocke von Bürgern des Ortsteils Mühlgrün mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rechtzeitig versteckt worden. Auch konnten Kontakte zu einer Gruppe geknüpft werden, die die Schulglocke in Rebesgrün, einer Nachbargemeinde von Auerbach, "bewachte".
Für mich persönlich begann mit der "Glockengeschichte" meine Auflehnung gegen die mannigfaltigen Mißstände des zusammenbrechenden SED - Regimes.
Das brachte mir dann u. a. fristlose Entlassung, Überwachung durch Stasi und Festnahmen ein. Nun, nach den Jahren der Wende, da ich auch gerichtlich vollständig rehabilitiert wurde, ist die Glocke ein erfaßtes Denkmal des Freistaates Sachsen geworden Bei meinem Hausbesuchen im jetzigen AWO - Seniorenheim sehe ich sie des öfteren nicht nur mit etwas Stolz, sondern auch als Zeugnis, dass wir damals insgesamt richtig gehandelt haben.

Abschließend sei berichtet, dass dem 20. Jahrestag der Unterzeichnung der KSZE - Schlußakte im Jahre 1995 im kleinen Kreis gedacht und dabei auch eine Spende für ein Waisenhaus in Rumänien erbracht wurde.

Und im Jahr 2001, wenn die Glocke 100 Jahre alt wird, was wird dann sein?

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