12.

Eckstein, D., Th. Müller u. E. Mikus: Zur Progredienz des Gallensteinleidens. Z. ärztl. Fortbild. 75 (1981), 902-903

Zusammenfassung

An Hand von Verlaufsbeobachtungen bei Patienten mit Cholelithiasis wird über die Häufigkeit von Kolik, Cholezystitis, Leberparenchymschaden und Pankreatitis nach gestellter Indikation zur Operation berichtet. Es wird darauf verwiesen, daß jede zeitliche Verzögerung der Cholezystektomie ein nicht zu unterschätzendes Risiko hinsichtlich des Bezidivs der akuten Beschwerden darstellt.

Sachwörter: Cholelithiasis, Progredienz, Cholezystektomie, Komplikationen, Operationsindikation.

Obwohl schon fast vor einem Jahrhundert Langenbuch die Cholezystektomie einführte, wird der günstigste Operationszeitpunkt bis in die heutige Zeit widersprüchlich diskutiert. Für den nicht direkt chirurgisch tätigen Arzt fällt es deshalb oft schwer, Position zu dieser Frage zu beziehen. In diesem Rahmen stellt sich vorliegende Untersuchung zum Verlauf des Gallensteinleidens unmittelbar nach gestellter Indikation zur Operation das Ziel an Hand unserer Erfahrung auf mögliche, nicht zu unterschätzende, Komplikationen und Gefahren aufmerksam zu machen. Wir untersuchten 81 cholezystektomierte Patienten der Chirurgischen Klinik des Klinikums Leninstraße (2. Halbjahr 1980), bei denen intraoperativ Gallensteine nachgewiesen werden konnten. Operierte Patienten mit anderen Erkrankungen der Gallenblase und -wege blieben unberücksichtigt. Es wurden folgende Gruppen gebildet: Gruppe 1: Zeitpunkt zwischen Indikationsstellung und Operation kleiner als 2 Monate (Durchschnitt: 28 Tage), 44 Patienten (24 Frauen und 20 Männer), Altersdurchschnitt 49,3 Jahre. Gruppe 2: Zeitpunkt zwischen Indikationsstellung und Operation größer als 2 Monate (Durchschnitt: 6,2 Monate), 37 Patienten (22 Frauen, 15 Männer), Altersdurchschnitt 51,8 Jahre.

Beschwerden und Komplikationen nach gestellter Indikation zur Cholezystektomie
         Im Einzelfall mehrfach aufgetreten
         Auf 100 % (n 44)
         Auf 100 % (n 37)

Die Indikation zur Operation wurde in allen Fällen nach der Durchführung der oralen und/oder intravenösen Cholangiopathie gestellt. Die Patienten der Gruppe 2 hatten in der Mehrzahl die Operation primär abgelehnt. Unterlagen aus ambulanten und stationären Einrichtungen dienten als Grundlage für die Feststellung der folgenden Beschwerden und Komplikationen: Kolik, Cholezystitis, Leberparenehymschaden und entzündliche Begleitreaktion des Pankreas. Für die Festlegung der Diagnose Cholezystitis sahen wir bei entsprechenden klinischen Beschwerden das zusätzliche Vorliegen pathologischer Entzündungsparameter (Blutbild, BSG usw.) an. Als Kriterium für das Vorhandensein von Leberparenehymschäden bzw Pankreatitiden sahen wir im Screening die pathologisch veränderten Transaminasen i. S. und/oder die Vermehrung des konjugierten Bilirubins bzw. a-Amylasenaktivitäten i. S. an. Das Symptom "Gallenkolik" entnahmen wir der Anamnese. Bei 12 Fällen erfolgte trotz Beschwerden keine Arztkonsultation. Hier nahmen wir das Vorliegen eines Leberparenehymschadens bzw. Ikerus ausschließlich als gegeben an, wenn eindeutige Angaben der Patienten vorlagen, d. h. wenn Gallenkolik, Gelbfärbung der Haut, dunkler Urin und heller Stuhl gleichzeitig berichtet wurden. Die statistische Absicherung geschah mittels F-Verteilung.

Ergebnisse

Stellt man den prozentualen Anteil der Patienten mit Beschwerden nach gestellter Operationsindikation im Vergleich zur Gesamtzahl innerhalb der beiden Gruppen dar (Abb. 1), so ist ersichtlich, daß bei den Patienten mit längerer präoperativer Wartezeit (Gruppe 2) die Häufigkeit des Auftretens generell größer als bei Gruppe 1 ist. Besonders deutliche Unterschiede sind bei Cholezystitiden und Leberparenehymschäden zu verzeichnen (... jeweils 0,01). 62 % der Patienten aus der Gruppe 2 berichteten über Koliken (... = 0,05). Bei 14 % der gruppe mit längerer präoperativer Wartezeit wurde eine entzündliche Begleiterkrankung der Bauchspeicheldrüse beobachtet (... = 0,05), während im Vergleich dazu bei den "Sofortoperierten" diese Komplikation in keinem Fall zu verzeichnen war. Entsprechend dazu finden sich unter der Rubrik "ohne Beschwerden" umgekehrte Verhältnisse (Abb.). Bis auf die Diagnose "entzündliche Begleitreaktion des Pankreas" waren Sensationen im Einzelfall dabei mehrfach zu eruieren. So berichtete beispielsweise eine Patientin über 32 Koliken präoperativ.

Diskussion Die Berichte über eine Progredienz des Gallensteinleidens sind nicht selten Gegenstand von Diskussionen in der Literatur (2, 3, 7, 8). Wenekett und Mitarb. haben fast 800 Gallensteinträger über 11 Jahre beobachtet und bei 33 % Komplikationen in Form von Verschlußikterus, Pankreatitis, Cholezystitis und Gallenblasenkarzinom gefunden (10). Frahm sah bei vergleichbarem Patientengut in einem Viertel der Fälle Begleiterkrankungen, die im Risiko höher lagen als das Operationsrisiko (3). Auch Wanke und Mitarb., die das Problem aus pathologisch-anatomischer Sicht untersuchten, fanden bei Patienten mit Cholezystitis bei Cholelithiasis in 60 % Cholangitis und Cholangiolitis, in 23 % Leberzellverfettung und in 7 % Leberzirrhose bei gezielten Leberpunktionen (9). Nach Meinung dieser Untersucher ist auch ein Zusammenhang zwischen Gallensteinleiden und Pankreasfibrose sowie Pankreatitis gegeben (9). Darüber hinaus sehen nicht wenige Autoren in der Cholelithiasis eine "fakultative Präkanzerose" (4, 6). Auch die vorliegende Arbeit zeigt - wie schon früher berichtet (2) -, daß für den konservativ behandelten Gallensteinkranken eine deutlich erhöhte Gefährdung gegenüber dem "Sofortoperierten" hinsichtlich des Auftretens Komplikationen gegeben ist:

Etwa jeder Zweite hat mit Koliken,
etwa jeder Dritte mit einer Cholezystitis bzw. mit einem Leberparenehymschaden und
etwa jeder Zehnte mit einer entzündlichen Begleitreaktion in der Bauchspeicheldrüse (!) zu rechnen.


Generell gesehen existiert eine enge funktionelle und topographische Wechselbeziehung der Oberbauchorgane (1, 9): "Duodenales Verbundsystem", "Oberbaucheinheit", "Synpathie der Oberbauchorgane" sind häufig verwendete Begriffe dafür. Darüber hinaus ist nicht unwahrscheinlich, daß die "Dunkelziffer" der Rezidive bzw. Komplikationen groß ist. Bei nicht wenigen Patienten, die längere Zeit als Gallensteinkranke bekannt sind, nehmen die dramatischen Beschwerden im Sinne der klassischen Gallenkolik nicht selten ab. Geschildert werden dann Spannungsgefühl im rechten Oberbauch, Unverträglichkeit von bestimmten Speisen und manchmal allgemeines Unwohlsein. Dieser "Rückgang" in der Symptomatik darf nicht zu dem Schluß führen, daß das Krankheitsbild sistiert. Die chronisch entzündliche und damit narbig veränderte Wand der Gallenblase und -wege ist im Zuge der Zerstörung von Anteilen der Muskulatur wahrscheinlich nicht mehr ausreichend fähig, sich zu kontrahieren und damit zur Entwicklung des Vollbildes einer Kolik nicht mehr in der Lage(7). Hierin besteht eine große Gefahr: der Patient, der sich "klinisch besser fühlt", lehnt jetzt nicht selten die Operation ab. An dieser Stelle sollte der Arzt den Patienten über sein Krankheitsbild genau aufklären und ihm sämtliche Komplikationen einschließlich der Möglichkeit der Entwicklung von Zirrhose und Karizom vor Augen führen. Gleichzeitig ist in Betracht zu ziehen, daß eine Verschiebung des Eingriffs in höhere Lebensalter auf Grund der Multimorbidität mit einem größeren Operationsrisiko verbunden ist (5, 8). Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die aus verschiedener Sicht zu vorliegender Thematik erarbeitete Literatur und unsere Untersuchungen den Standpunkt unterstützen, daß jede zeitliche Verzögerung der Cholezystektomie nach gestellter Operationsindikation ein Risiko hinsichtlich des Rezidivs der akuten Beschwerden darstellt. Aus diesem Grunde muß es erklärtes Ziel sein, die Indikation frühzeitig zu stellen und die Operation ohne Zeitverzug anzuschließen.

Literatur


1. Bosseckert, H.: Z. ges. inn. Med. 35 (1980), 672.
2. Eckstein, D., Venz, S., Müller, Th., und Schütz, J.: Vortrag, 3. Tagung der Gesellschaft für Chirurgie, Regionalgesellschaft Magdeburg, Magdeburg 1977.
3. Frahm, G.: Dtsch. Med. J. 13 (1962), 203
4. Gerner, L.: Klein. Med. 4 (1949), 142
5. Grözinger, K. H.: Med. Welt 20 (1969), 391.
6. Luelsdorf, H.: Z. Krebsforschung 24 (1927), 395.
7. Spohn, K., Müller-Kluge, M., Fus, H. D., und Tewes, G.: Vortrag, 28. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Erlangen (1973), S. 189
8. Van der Linden, W.: Internist 16 (1975), 571.
9. Wanke, M., Geiger, V., und Bockelmann, D.: Med. Welt 20 (1969), 765.
10. Wenckert, A., und Robertson, B.: Gastroenterology 50 (1966), 376.

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